LEBEN
Foto: Odermatt, Brunnen
1922
Foto: Aschwanden, Altdorf
1938
Foto: Fam. Schillig
1975
VON DER KRANKENSCHWESTER ZUR PROFESSORIN
Die Eltern Regina und Emanuel Schillig- Aschwanden mit den Kindern Helen, Maria, Emanuel, Regina und Erna (rechts).
Foto: 1925, Michael Aschwanden / Staatsarchiv Uri
Erna Schillig wird am 27. September 1900 in Altdorf Uri als drittes von fünf Kindern geboren. Sie lässt sich zur Krankenschwester ausbilden. Im Welschland findet sie als junge Frau Arbeit, kehrt aber aus gesundheitlichen Gründen in den Kanton Uri zurück.
Ihre Eltern Regina und Emanuel Schillig-Aschwanden betreiben während den Sommermonaten auf dem Klausenpass ein Hotel. Im Vorschulalter verbringt Erna Schillig die meiste Zeit vom Frühling bis Herbst zusammen mit ihren Geschwistern Maria, Regina, Emanuel und Helen auf dem Klausen. Da lernt sie, mit etwa 16 Jahren, den deutschen Maler August Babberger und seine Frau Anna Maria kennen, die die Sommermonate immer auf dem Klausen in einer Alphütte verbringen.
Babberger ist ein Bekannter des Urner Malers Heinrich Danioth. Es entsteht eine intensive Künstlergemeinschaft, die als Urner Kreis
in die Geschichte eingeht. Babberger, der Direktor für bildende Künste an der Akademie in Karlsruhe ist, überzeugt die beiden Urner Kunstschaffenden Schillig und Danioth nach Karlsruhe zu kommen. Bald entwickelt sich Erna zur Meisterschülerin. Die Sommermonate verbringt sie wie die Babbergers regelmässig auf dem Klausen.
Von der Urner Hochgebirgslandschaft ist sie beeindruckt. Ihr künstlerisches Schaffen ist geprägt durch die Malerei und Skizzen. Viele Fresken-Malereien und Holzschnitte sowie Textilarbeiten entstehen in den 20er- und 30er Jahren. 1936, nach dem Tod ihres Lebenspartners fällt sie in eine tiefe Schaffenskrise.
1937 ist für Erna Schillig ein besonderes Jahr. An der Weltausstellung in Paris wird im Schweizer Pavillon ihr Trachtenteppich gezeigt, den sie später dem Schweizer Landesmuseum schenkt. 1948 nimmt sie ihre Tätigkeit an der Kunstgewerbeschule als Leiterin der neuen Textilabteilung auf. Durch Erna Schillig wird diese zur Hochburg für Schweizer Paramentik (Textilien, die in der Kirche und bei der Liturgie verwendet werden). 1960 erhält sie den Status einer Professorin, als eine der ersten Frauen der Schweiz. Ein Jahr später wird sie in die Eidgenössische Kunstkommission für angewandte Kunst berufen.
Sie stirbt zurückgezogen am 1. Mai 1993 mit 93 Jahren in ihrem geliebten Altdorf.
Chronologischer Lebenslauf
1900
Erna Schillig wird am 27. September in Altdorf Uri geboren
1916
Erster Kontakt mit dem Künstler August Babberger-Tobler und seiner Frau Anna-Maria auf dem Klausen
um 1917 – 1925
Ausbildung zur Krankenschwester im Kantonsspital Altdorf. Tätigkeit als Kinderkrankenschwester im Welschland
1925
Künstlerische Tätigkeit im Atelier des Malers Heinrich Danioth in Altdorf
1927 – 1932
Schülerin und Meisterschülerin an der Akademie für Bildende Künste in Karlsruhe bei August Babberger
1933 – 1936
Mitarbeiterin und Lebensgefährtin von August Babberger
1937 – 1941
Weiterbildung bei Maler Ernst Morgenthaler in Zürich
1942
Weiterbildung bei Maler Albert Schnyder in Delsberg
1920 – 1936
Intensives künstlerisches Schaffen auf dem Klausen, im Atelier in Altdorf und in Karlsruhe
1930 – 1936
Arbeit an diversen imposanten Wandbehängen für Kirchen, öffentliche Gebäude und Ausstellungen
1936
Tod ihres Lebensgefährten August Babberger. Darauf folgt eine tiefe Schaffenskrise
1936 – 1948
Wohnsitz in Altdorf
1937
Teilnahme an der Weltausstellung in Paris mit dem imposanten Trachtenteppich im Schweizer Pavillon
1936 – 1962
Betreuung des Nachlasses von August Babberger
1939 – 1945
Tätigkeit im Frauenhilfsdienst (FHD) der Schweizer Armee in Altdorf und Zug
1944 – 1945
Mitarbeit bei der Herstellung der Marionetten für das Urner Krippenspiel von Heinrich Danioth
1947
Berufung an die Kunstgewerbeschule Luzern als Leiterin der neuen Textilabteilung
1948 – 1967
Tätigkeit an der Kunstgewerbeschule, die durch Erna Schillig zur Schweizer Hochburg für Paramentik wird
1960
Ernennung zur Professorin durch das Erziehungsdepartement des Kantons Luzern
1961 – 1968
Mitglied der Eidgenössischen Kommission für angewandte Kunst
1964
Delegierte am Weltkongress des World Craft Council (WCC) an der Columbia-Universität in New-York
1966 – 1969
Mitglied des Direktoriums des WCC
1967 – 1991
Wohnsitz in Altdorf mit kleinem Atelier für eigenes Schaffen und Unterrichten von Interessierten im Zeichnen und Malen
1991 – 1993
Leben im Altersheim Rosenberg in Altdorf, unterbrochen von einigen Spitalaufenthalten im Kantonsspital URI
1993
1. Mai, Erna Schillig stirbt im Altersheim Rosenberg
12. Mai, Beisetzung im Grab der Familie Schillig auf dem Friedhof in Altdorf
Wiederkehrende Krisen
Erna Schillig war während ihrem langen Leben auch mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Vorallem der frühe Tod ihres Mentors August Babberger im Jahre 1936, sie war da 36 jährig, hat bei ihr eine lange Lebenskrise ausgelöst. Um 1945 hatte sie auf Grund einer Operation Lähmungserscheinungen, welche auf eine Nervenschädigung zurückzuführen waren. Eine befreundete Ärztin vermutete, dass es sich auch um psychische Ursachen handle. Auf ihren Rat hin und auf Drängen ihrer Familie wurden psychotherapeutische Behandlungen in die Wege geleitet.
In diesem Zusammenhang gelangte sie am 1. Juli 1947 das erste Mal mit einem Schreiben an den weltbekannten Psychologen C.G. Jung (1875 – 1961) der in Küsnacht am Zürichsee lebte.
Auszug aus dem Schreiben an C.G. Jung:
. . . . .
Es war so: vor zwei Jahren wurde ich nach
schwerer Operation gelähmt. Es lag eine
periphere Nervenschädigung vor, doch ver-mutete meine Freundin, eine Ärztin, dass psychogene Ursachen vorliegen, zumal sie wusste, dass ich im Spital, durch Zufall,
in dem selben Zimmer lag, in welchem mein Geliebter starb. Auf ihren Rat, wurde ich
von meiner Familie in psychotherapeuti-
sche Behandlung gebracht. Weil dies
. . . . .
Ich bin heute noch schwach, verstört, verwirrt. Warum muss seelisches Leid durch bittere Bekanntschaft mit sich selbst geheilt werden.
Diese Frage wünsche ich mir von Ihnen beantwortet.
Ich bitte Sie sehr herzlich darum.
Mit grösster Hochachtung
begrüsst Sie
Erna Schillig
Quelle: Wissenschaftlicher Nachlass von C.G. Jung, ETH Zürich
Erna Schillig war trotz wiederkehrenden Krisen bis ins hohe Alter kreativ tätig.
In ihrer Wohnung an der Hagenstrasse in Altdorf hatte sie ein Atelier, wo auch in ihrer späten Schaffensperiode viele Weke entstanden. Sie pflegte eine umfangreiche Sammlung von Kunstbüchern.
Das Bild zeigt Erna Schillig im August 1978 in ihrem Atelier. Dort lagerte sie viele ihrer Bilder und auch mehrere ihres Mentors August Babberger.
Foto: Aschwanden / Staatsarchiv Uri
Mit vielen Personen in der Kunstszene pflegte Erna Schillig Kontakte. So war sie mit Max Altorfer (1915 – 1997) über viele Jahre beruflich aber auch freundschaftlich verbunden. Altorfer war ab 1941 wissenschaftlicher Mitarbeiter für kulturelle Angelegenheiten im Departement des Innern (EDI). Von 1973 bis 1979 war er Direktor des Bundesamtes für Kultur (BAK). Unter ihm wurden wichtige Ankäufe zeitgenössischer Schweizer Kunsr für die eidgenössische Kunstsammlung getätigt.
In sechs Schreiben von 1970 bis 1985 von Erna Schillig an Max Altorfer zeigt sich ihre Verbundenheit und Vertrautheit. So war es ihr scheinbar ein Bedürfnis ihn über ihr persönliches Befinden zu informieren, wie im Schreiben vom 22. Dezember 1985 zu lesen ist:
Quelle: Schweizerisches Literaturarchiv SLA, Bern
Nur einen Monat später informiert Erna Schillig Max Altorfer über einen Herzanfall und berichtet ihm zudem über andere Begebenheiten.
Auszüge aus dem Schreiben vom 27. Januar 1986:
Quelle: Schweizerisches Literaturarchiv SLA, Bern
Bereits in früheren Schreiben hat Erna Schillig Max Altorfer über aktuelle Angelegenheiten und
über ihre Gesundheit informiert.
In den beiden oben gezeigten Schreiben an Max Altorfer erwähnt Erna Schillig, dass sie sehr gute Ärzte bzw. feine Ärzte hätte.
Sie wurde während vielen Jahren von Dr. Rolf Müller (1931 – 2018), Chefarzt am Kantonsspital Altdorf, und ab 1984 bis zu ihrem Tod am 1. Mai 1993 von Dr. August Griesemer, mit Praxis in Altdorf, betreut.
Spital Altdorf, 26. September
1991
Lieber Dr. Rolf Müller,
wie sehr haben Sie mich
überrascht. Welch herzliches
Geschenk brachte mir die Post.
Ich konnte es kaum fassen
Von ganzem Herzen Dank!
Dank!
Ich freue mich sehr!
Dank Ihnen und Monique.
Mir ist es wie einem Kind
nach der Bescherung!
Von Herzen Dank
von
Tante Erna.
Foto: Familie Müller, reproduziert Martin Arnold
Das Schreiben hat Erna Schillig als Dank für ein Geschenk, das sie von Dr. Rolf Müller erhielt, verfasst. Die Art des Geschenks konnte nicht mehr eruiert werden. Die im Schreiben genannte Monique war seine zweite Ehefrau.
Dr. Müller wohnte mit seiner ersten Frau Derja und den beiden Kindern Sabine und Erik im gleichen Haus wie Erna Schillig an der Hagenstrasse in Altdorf. Die Kinder hatten eine sehr herzliche Beziehung zu ihr. Sie sprachen sie mit Tante Erna an.
Das hier gezeigte Schreiben ist bei einem Erna Schillig Bild, das Dr. Müller seiner Tochter Sabine schenkte, auf der Rückseite aufgeklebt. In der Werkschau unter Verschiedene kann das Bild eingesehen werden (Engel, Ehre sei Gott in der Höhe).
Ein Geschenk
Diesen 190 x 130 x 62 cm grossen Schrank, mit zwei verglasten Türchen, einem Klapptisch und zwei Schubladen erwarb August Babberger um 1920/30. Er bemalte ihn mit einer rötlichen Grundfarbe und versah die Frontseite mit gleichmässig angeordneten schwarzen Punkten. Eingerahmt von diesen malte er auf vier Bildtafeln Lebensarstellungen von Erna Schillig. Den verzierten Schrank schenkte er ihr.
Mehrere Zeitgenossen wissen zu berichten, dass dieser von etwa 1936 bis 1948 in ihrer Wohnung an der Bahnhosstrasse und von 1967 bis 1991 in der Wohnung in der Hagenstrasse in Altdorf stand. Er wurde von ihr als Geschirr- und Bücherschrank genutzt.
Erna Schillig schenkte den Schrank ihrem langjährigen Arzt Dr. Rolf Müller. Nach dessen Tod ging er 2018 an seine Witwe Monique über.
Sehr dominant steht dieses eindrückliche Erinnerungsstück an Erna Schillig und August Babberger in ihrer Wohnung (2023).
Foto: Martin Arnold